Als Krsna die Botschaft Rukminis
vernommen hatte,
war Er sehr erfreut. Er schüttelte dem brahmana die Hand
und sagte: "Mein lieber brahmana, es freut Mich sehr, zu
erfahren, wie sehr sich
Rukmini wünscht, Mich zu
heiraten, denn auch Ich sehne Mich danach, ihre Hand zu
bekommen. Meine Gedanken weilen
ständig bei der
Tochter Bhismakas, und manchmal kann Ich nachts nicht
schlafen, weil Ich an sie denken muß. Daß nun Rukminis
älterer Bruder ihre Heirat mit
Sisupala in die Wege
geleitet hat, ist offensichtlich darauf zurückzuführen, daß
er schon seit jeher einen Groll gegen Mich hegt. Deshalb
bin Ich entschlossen, all diesen
Fürsten eine gehörige
Lektion zu erteilen. Genau wie man
aus gewöhnlichem
Holz das lichtspendende Feuer
herausziehen kann, so
werde Ich mit diesen dämonischen Fürsten
kämpfen und
aus ihrer Mitte Rukmini wie ein Feuer hervorbringen."
Weil Krsna erfahren hatte, daß Rukminis Heirat schon
am nächsten Tag stattfinden sollte,
war Er sehr bestrebt,
schnellstens aufzubrechen. Er wies Seinen
Wagenlenker
Daruka an, die Pferde vor den
Wagen zu spannen und
alles für die Fahrt
zum Königreich von Vidarbha
vorzubereiten. Auf diesen Befehl hin brachte
Daruka die
vier Pferde herbei, die Krsna besonders bevorzugte. Diese
Pferde werden im Padma Purana
namentlich aufgeführt
und beschrieben. Das erste hieß
Saibya und war von
grünlicher Farbe; das zweite, Sugriva,
war grau wie Eis;
das dritte, Meghapuspa, hatte die
Farbe einer frischen
Wolke, und das letzte, Balahaka, war aschfarben. Als der
Wagen mit vorgespannten Pferden bereitstand, half Krsna
dem brahmana beim Einsteigen und bot ihm den Sitz an
Seiner Seite an. Sie ließen Dvaraka
schnell hinter sich,
und noch in derselben Nacht erreichten sie das Gebiet von
Vidarbha. Das Königreich Dvaraka
befindet sich im
Westen Indiens, und Vidarbha liegt
im nördlichen Teil.
Die Entfernung zwischen den beiden
Ländern beträgt
nicht weniger als tausend Meilen, doch die Pferde waren
so schnell, daß sie ihr Ziel, die Stadt Kundina in Vidarbha,
innerhalb einer Nacht, d.h. in
höchstens zwölf Stunden,
erreichten.
König Bhismaka war nicht sehr
angetan von dem
Gedanken, seine Tochter Sisupala zur
Frau zu geben,
doch aus seiner überstarken Zuneigung zu seinem ältesten
Sohn, der die Heirat vereinbart
hatte, fühlte er sich
verpflichtet, zuzustimmen. Weil es seine Pflicht war, ließ
Bhismaka die
ganze Stadt für
das Hochzeitsfest
herrichten, wobei er sich alle Mühe
gab, das Fest zu
einem großen Erfolg zu machen.
Überall in den Straßen
wurde Wasser versprengt, und die ganze Stadt wurde aufs
sorgfältigste gereinigt. Weil Indien in der tropischen Zone
liegt, hat es ein sehr trockenes Klima. Daher sammelt sich
auf den Straßen ständig Staub an,
so daß sie mindestens
einmal täglich mit Wasser besprengt werden müssen, und
in Großstädten wie Kalkutta sogar
zweimal täglich. Die
Straßen von Kundina
wurden mit farbenprächtigen
Fähnchen und Girlanden geschmückt, und an bestimmten
Straßenkreuzungen errichtete man Torbögen.
So zeigte
sich die ganze Stadt von ihrer
schönsten Seite, und der
Anblick der Stadt wurde durch ihre
Bewohner noch
verschönert, denn sie alle trugen
frische Kleider und
hatten sich mit
Sandelholzpaste, Perlenketten und
Blumengirlanden
geschmückt.
Überall brannten
Räucherstäbchen, und Düfte wie aguru erfüllten die Luft.
Die Priester und brahmanas wurden
ausgiebig gespeist
und erhielten, wie es bei solchen Festen der Brauch war,
viele Kostbarkeiten und Kühe als
Geschenk, und danach
begannen sie, vedische Hymnen zu chanten. Rukmini, die
Tochter des Königs, war unvergleichlich hübsch. Sie war
wohlgepflegt und hatte wunderschöne
Zähne. Um ihr
Handgelenk war das
glückverheißende heilige Band
geschlungen; dazu
trug sie
die verschiedensten
Schmuckstücke aus Juwelen, und ihr
ganzer Körper war
in einen langen Sari aus Seide
gehüllt. Gelehrte Priester
chanteten schutzbringende mantras aus dem
Sama Veda,
dem RgVeda und dem Yajur Veda. Als sie Opfergaben im
Feuer darbrachten, um dem Einfluß
von ungünstigen
Gestirnkonstellationen entgegenzuwirken, chanteten sie
mantras aus dem Atharva Veda.
König Bhismaka wußte sehr wohl, wie
man sich bei
solchen Zeremonien den
brahmanas und Priestern
gegenüber zu verhalten hat, und so ehrte er die brahmanas
besonders, indem er ihnen große
Mengen von Gold und
Silber sowie mit Zuckersirup vermischtes
Getreide und
Kühe mit goldenem
Zierat schenkte. Damaghosa,
Sisupalas Vater, führte alle möglichen
Rituale aus, um
seiner Familie eine möglichst glückliche
Zukunft zu
sichern. Sisupalas Vater hieß Damaghosa,
weil er für
seine besondere Fähigkeit berühmt war,
undisziplinierte
Bürger niederzuzwingen. Dama bedeutet
"bezwingen",
und ghosa bedeutet "berühmt". Damaghosa war also dafür
berühmt, die Bürger unter strenger
Aufsicht zu halten.
Deshalb hatte Damaghosa
geplant, im Falle eines
Versuches von Krsna, die Heiratszeremonie zu stören, mit
seiner Streitmacht einzugreifen, um Ihn
auf diese Weise
niederzumachen. Nachdem er die
verschiedenen glückbringenden Zeremonien durchgeführt hatte,
sammelte er
seine berühmten Madasravi-Legionen um sich und nahm
überdies viele
mit goldenen
Ketten geschmückte
Elefanten und zahlreiche Streitwagen und Pferde mit, die
ähnlichen Prunk aufwiesen. Auf diese Weise machte sich
Damaghosa zusammen mit seinem Sohn
und anderen
Freunden auf den Weg nach Kundina,
und es erweckte
fast den Eindruck, daß sie mehr
die Absicht hatten, an
einer
Schlacht
teilzunehmen
als
an einer
Hochzeitszeremonie.
Als König Bhismaka erfuhr, daß Damaghosa und sein
Gefolge sich Kundina näherten, verließ
er die Stadt, um
sie willkommen zu heißen. Vor dem Stadttor lagen viele
Gärten, die für den Aufenthalt der
Gäste gedacht waren.
Nach vedischem Brauch ist es üblich, daß der Brautvater
die Gefolgschaft des Bräutigams empfängt
und sie für
zwei bis drei Tage, bis zum Ende der Hochzeitszeremonie
in einer
gebührlichen Unterkunft
bewirtet. Die
Gefolgschaft, die von
Damaghosa angeführt wurde,
bestand aus Tausenden von Leuten, unter denen sich auch
so berühmte Könige und Persönlichkeiten wie Jarasandha,
Dantavakra, Viduratha und Paundraka
befanden. Es war
ein offenes Geheimnis, daß Rukmini eigentlich mit Krsna
hätte verheiratet werden sollen, daß
aber Rukmi, ihr
ältester Bruder, ihre Heirat mit Sisupala beschlossen hatte.
Es wurde auch gemunkelt, Rukmini habe heimlich einen
Boten zu Krsna gesandt, und deshalb
vermuteten die
Soldaten, daß Krsna die Hochzeit
vielleicht verhindern
und Rukmini entführen würde. Die Soldaten hatten
zwar
nicht gerade das beste Gefühl dabei, doch
sie alle waren
bereit, Krsna einen harten Kampf zu
liefern, um so zu
verhindern, daß Er das Mädchen
entführte. Inzwischen
hatte Sri Balarama erfahren, daß Krsna,
nur von einem
brahmana begleitet, nach Kundina gefahren war, und als
Er außerdem hörte, daß Sisupala dort mit einer gewaltigen
Anzahl von Soldaten eingetroffen sei, befürchtete Er, daß
sie Krsna angreifen könnten. Deshalb
zog Er starke
Truppen zusammen, die sich aus
Streitwagen, Fußvolk,
Reiterei und Elefanten zusammensetzten, und begab Sich
damit vor die Stadt Kundina.
Rukmini wartete unterdessen sehnsüchtig in ihrem
Palast auf Krsnas Ankunft, doch
weder Er noch der
brahmana dem sie die Botschaft
anvertraut hatte, trafen
ein. Rukmini wurde zutiefst beunruhigt,
und sie begann,
über ihre unglückliche Lage nachzudenken:
"Es trennt
mich jetzt nur noch eine Nacht
vom Hochzeitstag, aber
bisher sind weder der brahmana noch
Syamasundara erschienen. Ich kann mir dies nicht
erklären." Sie hatte
schon fast alle Hoffnung verloren
und dachte, sie habe
vielleicht Krsnas Unmut
erweckt, weshalb Er ihren
freimütigen Antrag zurückgewiesen
habe. Als Folge
davon sei der brahmana vielleicht so enttäuscht gewesen,
daß er gar nicht erst zurückkehren
wollte. Doch obwohl
Rukmini über die möglichen Gründe für das Fernbleiben
Krsnas und des brahmana rätselte, erwartete sie dennoch
jeden Augenblick ihre Ankunft.
Rukmini befürchtete des weiteren, daß Halbgötter wie
Brahma, Siva und die Göttin Durga
ihr möglicherweise
die Gnade versagt hatten, denn es
wird gesagt, daß die
Halbgötter zornig werden, wenn man
sie nicht richtig
verehrt. Als Indra zum Beispiel
einst merkte, daß die
Einwohner von Vrndavana auf Krsnas Einspruch hin den
Indra-yajna, das Opfer, das zu
seinen Ehren ausgeführt
werden sollte, abbrachen und für immer darauf verzichten
wollten, wurde er sehr zornig und
wollte sie bestrafen.
Rukmini, die dies wußte, dachte
deshalb, Siva oder
Brahma seien böse auf sie geworden, weil sie sich nie viel
um deren Verehrung
gekümmert habe, und deshalb
würden sie nun versuchen, ihren
Plan zu durchkreuzen.
Dazu befürchtete sie auch, daß sich die Göttin Durga, die
Frau Sivas, der Seite ihres Mannes
angeschlossen hatte.
Siva wird auch als Rudra bezeichnet
und seine Frau als
Rudrani, was darauf hinweist, daß sie dazu neigen, andere
in solche Verzweiflung zu stürzen,
daß diese für immer
weinen. Ebenso bezeichnete Rukmini die Göttin Durga in
Gedanken als Girija, "die Tochter
des Himalaya". Das
Gebirge des Himalaya ist sehr kalt und hart, und Rukmini
stellte sich die Göttin Durga als ebenso hartherzig und kalt
vor. Auf diese Weise dachte Rukmini in ihrer Sehnsucht
nach Krsna vorwurfsvoll an die verschiedenen Halbgötter,
denn sie war trotz allem immer noch ein Kind. Die gopis
verehrten einst die Göttin Katyayani, um Krsna als ihren
Ehemann zu bekommen, und in
ähnlicher Weise dachte
auch Rukmini an die verschiedenen
Halbgötter — nicht
um von ihnen eine
materielle Segnung zu erhalten,
sondern in Beziehung zu Krsna. Zu
den Halbgöttern um
Krsnas Gunst zu beten ist durchaus
nichts Unstatthaftes,
und was Rukmini betrifft, so war sie völlig in Gedanken
an Krsna vertieft.
Obwohl Rukmini sich
mit dem Gedanken
zu
beruhigen versuchte, daß es für
Govindas Ankunft noch
nicht zu spät sei, hatte sie
das Gefühl, als seien all ihre
Hoffnungen vergeblich. Ohne
sich irgend jemandem
mitzuteilen, vergoß sie
einfach Tränen, und als
der
Tränenstrom immer heftiger wurde, schloß sie hilflos die
Augen. Während Rukmini tief
in solche Gedanken
versunken war, zeigten sich an
mehreren Stellen ihres
Körpers glückverheißende Symptome: An
ihrem linken
Augenlid und an ihren Armen und Schenkeln machte sich
ein Zittern bemerkbar. Ein Zittern
an diesen Stellen des
Körpers weist darauf hin, daß etwas
Erfreuliches zu
erwarten ist.
Gerade in diesem Moment erblickte
die verzweifelte
Rukmini den brahmana, den sie als
Boten ausgesandt
hatte. Weil Krsna, die Überseele aller Lebewesen, gewußt
hatte, daß sich Rukmini so große Sorgen machte, hatte Er
den brahmana in den Palast geschickt, um sie von Seiner
Ankunft zu unterrichten. Als Rukmini den brahmana sah,
wußte sie das glückverheißende Zittern
an ihrem Körper
zu deuten und war unsagbar
erleichtert und froh. Sie
lächelte und fragte ihn, ob Krsna bereits angekommen sei,
und der brahmana
antwortete, daß der
Sohn der
Yadu-Dynastie, Sri Krsna, nun tatsächlich
eingetroffen
sei. Um sie weiter zu ermutigen,
verriet er auch, daß
Krsna versprochen habe, sie unter
allen Umständen zu
Sich zu holen. Rukmini war so froh über die Botschaft des
brahmana, daß sie ihm alles
schenken wollte, was sie
besaß, doch als sie nichts finden
konnte, was seiner
würdig war, brachte sie ihm einfach
ihre achtungsvollen
Ehrerbietungen dar. Die Bedeutung des
Darbringens von
achtungsvollen Ehrerbietungen ist, daß
man sich der
geehrten Person aus Dankbarkeit
verpflichtet fühlt. Auf
diese Weise wollte Rukmini dem brahmana
also zeigen,
daß sie ihm ewig dankbar sein werde. Jeder, der die Gunst
der Glücksgöttin erlangt, wie dieser brahmana, kann sich
zweifellos stets materiellen Reichtums erfreuen.
Als König Bhismaka hörte, daß Krsna
und Balarama
angekommen
seien, lud
er Sie
ein, der
Hochzeitszeremonie seiner Tochter beizuwohnen.
Auch
sorgte er sogleich dafür, daß Sie
und Ihre Soldaten in
einem angemessenen Gartenhaus Quartier
erhielten, und
dann bot er Krsna und Balarama
nach vedischer Sitte
Honig und frische Gewänder an. Neben Krsna, Balarama
und Königen
wie
Jarasandha
bot er seine
Gastfreundlichkeit auch noch vielen anderen Königen und
Fürsten an, denen er allen
entsprechend ihrer Stärke,
ihrem Alter und ihrem
materiellen Reichtum einen
Empfang bereitete. Die Einwohner von Kundina, die es in
ihrer Neugier kaum hatten erwarten
können, Krsna und
Balarama zu sehen, drängten sich um
die beiden und
tranken den Nektar Ihrer Schönheit.
Mit tränenerfüllten
Augen erwiesen sie Krsna und Balarama schweigend ihre
Ehrerbietungen. Sie waren bezaubert von
Sri Krsnas
Gegenwart und sahen in Ihm den
einzigen geeigneten
Gemahl für Rukmini. Sie wünschten
sich so sehr, Krsna
und Rukmini vereint zu sehen, daß
sie begannen, zur
Persönlichkeit Gottes zu beten: "Lieber
Herr, wenn wir
jemals irgendwelche frommen Werke getan
haben, die
Dich erfreuten, dann sei bitte so gütig und nimm Rukmini
zur Frau." Rukmini war offensichtlich
eine sehr beliebte
Prinzessin, denn alle Bürger wünschten ihr nur das Beste
und richteten deshalb ihre Gebete
an den Herrn. Inzwischen begab sich Rukmini, zauberhaft
gekleidet und
von vielen Leibwächtern bewacht, aus dem Palast, um den
Tempel Ambikas, der Göttin Durga, zu besuchen.
Die Bildgestaltenverehrung im Tempel wird schon seit
den Anfangen der vedischen Kultur durchgeführt. Es gibt
jedoch eine
Gruppe von
Menschen, die in
der
Bhagavad-gita als veda-vada-rata
bezeichnet werden,
was bedeutet, daß sie nur an
die vedischen Rituale
glauben, jedoch nicht an die
Verehrung im Tempel.
Solche Toren sollten zur Kenntnis
nehmen, daß bereits
vor fünftausend Jahren, als Krsna Rukmini
heiratete,
Tempelverehrung üblich war.
In der Bhagavad-gita
erklärt der Herr: yanti dera-vrata
devan. "Die Verehrer
der Halbgötter gelangen in die Reiche der Halbgötter." Zu
jener Zeit gab es viele Halbgottverehrer, aber auch viele,
die direkt die Höchste Persönlichkeit
Gottes verehrten.
Die Halbgötter, die hauptsächlich verehrt
wurden, waren
Brahma, Siva, Ganesa, der Sonnengott
und die Göttin
Durga. Siva und die Göttin Durga wurden sogar von den
königlichen
Familien
verehrt,
wohingegen die
untergeordneten Halbgötter nur von den
unintelligenten
Menschen niederer
Herkunft verehrt
wurden. Die
brahmanas und Vaisnavas jedoch verehrten
einzig und
allein Sri Visnu, die Höchste Persönlichkeit Gottes. In der
Bhagavad-gita wird die Verehrung der
Halbgötter zwar
verurteilt, jedoch nicht verboten. Es wird deutlich gesagt,
daß nur die
weniger intelligenten
Menschen die
verschiedenen Halbgötter um
materieller Segnungen
willen verehren. Auf der anderen
Seite besuchte sogar
Rukmini, obwohl sie die Glücksgöttin persönlich war, den
Tempel Durgas, weil dort die
Bildgestalt der Familie
verehrt wurde. Im Srimad-Bhagavatam wird dazu erklärt,
daß Rukmini auf ihrem Weg zum Tempel in ihrem Innern
unablässig an die
Lotosfüße Sri Krsnas dachte.
Als
Rukmini daher in den Tempel ging, tat sie dies nicht mit
der gleichen Absicht wie ein
gewöhnlicher Mensch, der
nur dort hingeht, um sich materiellen Gewinn zu erbitten;
ihr einziges Ziel war Krsna. Wenn
die Menschen in den
Tempel eines Halbgottes gehen, so
ist letzten Endes
trotzdem Krsna das Ziel der Verehrung, denn Er ist es, der
die Halbgötter
dazu ermächtigt,
ihren Verehrern
materielle Segnungen zu erteilen.
Als Rukmini zum Tempel
ging, war sie sehr
schweigsam und ernst. An ihrer Seite gingen ihre Mutter
und ihre Freundin, und in der Mitte befand sich die Frau
eines brahmana. Dazu wurde Rukmini von
königlichen
Leibwächtern begleitet. (Dieser Brauch, daß die Braut vor
der Heirat in den Tempel eines
Halbgottes geht, wird in
Indien auch heute noch eingehalten.) Während der Prozession ertönten die verschiedensten Instrumente: Trommeln,
Muschelhörner und
Blasinstrumente verschiedenster
Größen, wie zum Beispiel panavas, turyas und bheris. Die
Klänge dieses Konzerts waren nicht nur glückverheißend,
sondern auch sehr wohlklingend für
das Ohr. Tausende
von ehrwürdigen brahmana-Frauen waren
zugegen, die
sich mit ausgesuchtem Geschmeide
geschmückt hatten.
Sie reichten Rukmini Blumengirlanden, Sandelholzpaste
und eine Vielzahl farbenprächtiger
Gewänder, um ihr so
bei der Verehrung Sivas und der Göttin Durga behilflich
zu sein. Einige dieser Frauen
schauten bereits auf ein
langes Leben zurück und waren deshalb sehr erfahren im
Chanten von Gebeten zu Durga und
Siva. Gefolgt von
Rukmini und den anderen, trugen sie
den Bildgestalten
Gebete vor.
Anschließend richtete Rukmini ihre Gebete
an die
Bildgestalt: "Meine liebe Göttin Durga, ich bringe dir wie
auch
deinen
Kindern
meine achtungsvollen
Ehrerbietungen dar." Die Göttin Durga hat vier berühmte
Kinder: zwei Töchter — die
Glücksgöttin Laksmi und
Sarasvati, die Göttin der Gelehrsamkeit
— und zwei
berühmte Söhne — Ganesa und Karttikeya —, die alle als
Halbgötter und -göttinnen gelten. Weil
die Göttin Durga
immer zusammen mit ihren berühmten
Kindern verehrt
wird, erwies auch Rukmini der Bildgestalt auf diese Weise
ihre achtungsvollen Ehrerbietungen; ihre
Gebete jedoch
waren völlig verschieden von den Gebeten gewöhnlicher
Menschen. Die meisten
Menschen beten zur Göttin
Durga, um Reichtum, Ruhm, Gewinn,
Stärke und viele
andere solche materiellen Vorteile zu
erhalten; Rukmini
jedoch flehte Durga an, ihr gnädig
zu sein und sie zu
segnen, weil sie Krsna zum Gemahl haben wollte. Da sie
sich niemand anderen als Krsna
wünschte, war nichts
Falsches daran, daß sie einen Halbgott verehrte. Während
Rukmini ihr Gebet vortrug, brachte sie
der Bildgestalt
eine Vielzahl von Opfergaben dar,
vor allem Wasser,
Ghee-Lampen in verschiedener Form,
Räucherstäbchen,
Gewänder, Girlanden, verschiedene
Speisen, die in
Butterfett zubereitet worden
waren, wie puris und
kacauris, und dazu auch Früchte, Zuckerrohr, Betelnüsse
und Gewürze. Mit großer Hingabe
brachte Rukmini der
Bildgestalt dies alles dar, wobei
sie unter der Anleitung
der alten brahmana-Frauen genau die
vorgeschriebenen
Regeln befolgte. Nach dieser Zeremonie boten die Frauen
Rukmini die Reste der Speisen als
prasada an, und
Rukmini nahm sie ehrfürchtig zu sich. Darauf brachte sie
den brahmana-Frauen und
der Göttin Durga ihre
respektvollen Ehrerbietungen dar, und da
die Verehrung
der Bildgestalten nun beendet war,
faßte sie eine ihrer
Freundinnen bei der Hand und verließ zusammen mit den
anderen den Tempel.
Unterdessen hatten sich alle Fürsten und Besucher, die
nach
Kundina
gekommen
waren,
um der
Hochzeitszeremonie beizuwohnen, vor dem
Tempel versammelt, um Rukmini zu sehen. Besonders
die Fürsten
waren begierig, Rukmini zu sehen, denn eigentlich hoffte
jeder von ihnen, sie zur Frau
zu bekommen. Als sie
Rukmini tatsächlich erblickten, waren sie wie gebannt vor
Erstaunen und meinten, sie müsse speziell vom Schöpfer
geschaffen worden sein, um alle
großen Helden und
Fürsten zu verwirren. Ihr Körper
war wohlgestaltet, und
ihre Taille war schlank. Sie hatte hohe Wangen und rosa
Lippen, und ihr liebliches Antlitz wurde durch ihre langen
Locken und durch
verschiedenartige Ohrringe noch
verschönert.
Um ihre
Fußgelenke
trug sie
Juwelenanhänger. Die Ausstrahlung und die
Schönheit
Rukminis waren wie das Gemälde eines Künstlers, der die
ideale Schönheit, wie
sie von den größten
Poeten
beschrieben wird, darstellt. Rukminis
Brüste wurden als
"etwas erhoben" beschrieben, was darauf hinweist, daß sie
noch ein junges Mädchen war, nicht
älter als dreizehn
oder vierzehn Jahre. Ihre Schönheit
war ausschließlich
dafür bestimmt, die Aufmerksamkeit Krsnas
auf sich zu
ziehen. Obwohl alle Prinzen sie
wegen ihrer Schönheit
anstarrten, war sie nicht im
geringsten eitel. Ihre Augen
huschten hin und her, und wenn
sie mit der Einfachheit
eines unschuldigen Mädchens lächelte,
erstrahlten ihre
Zähne wie Lotosblumen. In der
Erwartung, daß Krsna
jeden Augenblick erscheinen würde,
schritt sie langsam
dem Palast entgegen. Ihre Schritte
waren wie die eines
erhabenen Schwanes, und
die Glöckchen an ihren
Fußgelenken klingelten sanft.
So kam es, daß die versammelten
adligen Fürsten
beim Anblick von Rukminis Schönheit
nur noch mit
offenem Mund dastanden
und fast das Bewußtsein
verloren. Voller Lust
begehrten sie, entgegen jeder
Hoffnung, nach Rukminis Hand und verglichen dabei ihre
eigene Schönheit mit der ihrigen. Srimati Rukmini jedoch
beachtete keinen von ihnen. Im
Innersten ihres Herzens
wartete sie nur darauf, daß Krsna
kommen und sie
entführen würde. Dann, als sie die
Schmuckstücke eines
Fingers ihrer linken Hand zurechtrückte, warf sie zufällig
einen Blick auf die Prinzen —
und sah plötzlich Krsna
mitten unter ihnen.
Obwohl Rukmini Krsna niemals
gesehen hatte, war sie immer in
Gedanken bei Ihm
gewesen, und so war es nicht schwierig für sie, Ihn unter
den vielen Fürsten zu erkennen.
Ohne Sich um die
anwesenden Könige und Prinzen zu
kümmern, ergriff
Krsna sofort die Gelegenheit und hob Rukmini in Seinen
Streitwagen, der durch eine Flagge mit dem Bild Garudas
gekennzeichnet war. Sodann fuhr Er
gemächlich, ohne
jede Furcht, mit Rukmini davon, wie
ein Löwe, der aus
einer Meute von
Schakalen ein Reh
fortträgt.
Währenddessen erschien Balarama mit den
Soldaten der
Yadu-Dynastie auf dem Schauplatz.
Jarasandha, der
schon viele Male
zuvor eine
Niederlage von Krsna hatte hinnehmen
müssen, brüllte
mit sich überschlagender Stimme: "Das
darf doch nicht
wahr sein! Krsna entführt Rukmini vor
unseren Augen,
und keiner unternimmt
etwas! Was nützt uns
unser
Heldenmut und unsere Waffenkraft, o
ihr Prinzen, wenn
wir einfach nur tatenlos zuschauen?
Wir verlieren unser
Ansehen, wenn wir es erlauben, daß ein Schakal die Beute
des Löwen wegstiehlt."
Hiermit
enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum 52. Kapitel des Krsna-Buches:
"Krsna entführt Rukmini".