Als Sri Krsna sah, daß die
große schwarze Schlange
Kaliya das Wasser der Yamuna
vergiftet hatte, bestrafte
Er Kaliya und zwang ihn, die
Yamuna zu verlassen und
anderswohin zu gehen. Auf
diese Weise wurde das
Wasser wieder rein.
Als Maharaja Pariksit dies von
Sukadeva Gosvami
hörte, wurde er noch begieriger, von den Kindheitsspielen
Krsnas zu hören. Er fragte Sukadeva Gosvami, auf welche
Weise Krsna die Schlange Kaliya bestrafte, die schon seit
vielen Jahren in diesen Gewässern
lebte. So begeisterte
sich Maharaja
Pariksit immer
mehr für die
transzendentalen Spiele Krsnas, und mit großem Interesse
stellte er viele Fragen.
Sukadeva Gosvami erzählte daraufhin die
Geschichte
von der Schlange Kaliya. Der Fluß
Yamuna bildete an
einer Stelle einen großen See, und
in diesem See hatte
sich die schwarze Schlange Kaliya
eingenistet. Von dem
Gift der Schlange war die ganze Umgebung so verseucht,
daß Tag und Nacht unablässig giftige Dämpfe aufstiegen.
Flog zufällig ein Vogel
über den See, stürzte er
augenblicklich ins Wasser und verendete.
Durch die giftigen Dämpfe der
Yamuna waren alle
Bäume und Gräser an den Flußufern
abgestorben. Sri
Krsna sah die Verheerung, die das
Gift der großen
Schlange angerichtet
hatte: Der ganze
Fluß von
Vrndavana war ein totes Gewässer.
Krsna, der erschienen
war, um alle störenden
Elemente auf der Welt zu beseitigen,
kletterte daraufhin
sofort auf einen großen kadamba-Baum, der am Ufer der
Yamuna stand. Der kadamba-Baum, der
runde, gelbe
Blüten trägt, ist im allgemeinen
nur im Gebiet von
Vrndavana zufinden. Nachdem Er die Spitze des Baumes
erklommen hatte, band Er Sein
Gürteltuch fester, und
während Er wie ein Ringkämpfer
Seine Arme schwang,
sprang Er weit in den giftigen See hinein. Der kadamba-Baum, von dem Krsna sprang, war der einzige Baum, der
nicht abgestorben war. Einige Kommentatoren sagen, der
Baum sei auf der Stelle lebendig geworden, als er von den
Lotosfüßen Krsnas berührt wurde. In
einigen Puranas
heißt es auch, daß Garuda, der
ewige Träger Visnus,
wußte, daß Krsna in der Zukunft
diese Tat vollbringen
würde, und daß er aus diesem
Grunde etwas Nektar auf
den Baum träufelte, um ihn am
Leben zu erhalten. Als
Krsna in das Wasser hineinsprang, trat der Fluß über seine
Ufer, als wäre etwas
sehr Großes und Schweres
hineingefallen. Dieses Zeichen der Kraft
Krsnas ist im
Grunde nicht erstaunlich, denn Er
ist die Quelle aller
Kräfte.
Krsna schwamm wie ein großer,
starker Elefant im
Fluß umher und
verursachte dadurch ein gewaltiges
Rauschen, das bis zur
Schlange Kaliya drang. Der
aufgeschreckte Kaliya wußte, daß der
Lärm nur eines
bedeuten konnte: Jemand wagte einen
Angriff auf seine
Behausung. Weil Kaliya dies nicht dulden konnte, tauchte
er augenblicklich auf, und voller
Verwunderung sah er,
wie betrachtenswert Krsnas
anmutige Schönheit war:
Krsnas
Körpertönung
glich der
Farbe einer
Gewitterwolke, und
Seine Beine
glichen einer
Lotosblume. Er war mit dem
Srivatsa-Zeichen und mit
Juwelen geschmückt und trug ein
gelbes Gewand. Ein
Lächeln spielte auf Seinem lieblichen Gesicht, während Er
Sich mit kraftvoller Gewandtheit in der Yamuna bewegte.
Doch trotz der wunderschönen Erscheinung Krsnas fühlte
Kaliya grimmigen Zorn in seinem
Herzen, und deshalb
packte er Krsna mit seinen
mächtigen Häuptern. Die
Kuhhirtenjungen und die anderen Bewohner Vrndavanas,
die Krsna über alles liebten,
konnten ihren Augen kaum
trauen, als sie sahen, wie Krsna in die Umklammerung der
Schlange geriet, und lähmendes Entsetzten
überfiel sie.
Alles, was sie besaßen, hatten sie Krsna hingegeben, ihre
Zuneigung, ihr Eigentum, ihre Handlungen,
ihr ganzes
Leben - alles gehörte Krsna -,
und als sie Ihn in dieser
Lage sahen, sanken sie, von Furcht überwältigt, zu Boden.
Auch die Kühe, die Stiere und die kleinen Kälber wurden
von großem
Schmerz erfüllt
und schauten voller
Verzweiflung zu Krsna hinüber; doch sie konnten in ihrer
Angst nur bitterlich weinen und standen bewegungslos am
Ufer, unfähig, ihrem geliebten Krsna zuhelfen.
Während dieser Geschehnisse am Ufer
der Yamuna
waren unheilvolle Zeichen zu sehen. Die
Erde bebte,
Meteore fielen vom Himmel, und die Menschen zitterten
an ihrer linken Seite. All dies
sind Anzeichen einer
großen, unmittelbar bevorstehenden
Gefahr. Als die
Kuhhirten und auch Maharaja Nanda die düsteren Zeichen
wahrnahmen, wurden sie von großer
Besorgnis erfüllt,
besonders als sie auch noch
erfuhren, daß Krsna ohne
Seinen älteren Bruder Balarama zu den
Weidegründen
gegangen war. Diese Nachricht steigerte
die Angst der
Eltern und der Kuhhirten, die sich
über das Ausmaß der
Energien Krsnas nicht bewußt waren,
nur noch mehr. In
ihrer großen Zuneigung zu
Krsna wurden sie von
Kummer und Besorgnis übermannt, denn
nichts liebten
sie mehr als Krsna, und sie hatten alles, was sie besaßen,
Ihm geweiht - ihr Leben, ihren
Besitz, ihre Zuneigung,
ihre Gedanken und ihre Handlungen. Weil sie so sehr an
Krsna hingen, dachten sie: „Heute
wird Krsna bestimmt
etwas Schreckliches passieren!“
Gemeinsam verließen die Bewohner von
Vrndavana
das Dorf, um Krsna zu suchen. Die
Schar bestand aus
Kindern, jungen und alten Männern,
Frauen, Tieren und
allen möglichen Arten von Lebewesen;
sie wußten, daß
Krsna ihr einziger
Beschützer war. Während dieser
Vorgänge stand Balarama, der Meister
allen Wissens,
ruhig lächelnd dabei. Er wußte, wie mächtig Sein jüngerer
Bruder Krsna war und
daß es keinen Grund zur
Aufregung gab, wenn dieser mit
einer gewöhnlichen
Schlange der materiellen Welt kämpfte.
Deshalb war Er
persönlich nicht
im geringsten
besorgt. Aber die
Bewohner Vrndavanas waren verzweifelt und
begannen
nach Krsna zu suchen, indem sie
Seinen Fußspuren auf
dem weichen Boden folgten, und so näherten sie sich der
Yamuna. Krsnas Lotosfüße hatten Spuren
hinterlassen,
auf denen die Zeichen einer Fahne,
eines Bogens und
eines Muschelhorns zu sehen waren. Von
diesen Spuren
wurden die Einwohner Vrndavanas
schließlich bis ans
Flußufer geführt, wo sie die Kühe und die Knaben weinen
sahen, weil sie hilflos zusehen mußten, wie die schwarze
Schlange Krsna in ihrer Umklammerung zu
erdrücken
versuchte. Das steigerte die Verzweiflung
der Bewohner
Vrndavanas nur noch mehr. Während
Balarama über ihr
Wehklagen lächelte, versanken
die Einwohner von
Vrajabhumi in einem Meer
des Jammers, denn sie
dachten, nun sei es um Krsna
geschehen. Obwohl die
Einwohner von Vrndavana nicht viel über Krsna wußten,
kannte ihre Liebe zu Ihm keine
Grenzen. Als sie sahen,
wie Krsnas mitten in der Yamuna
von der Schlange
Kaliya umklammert wurde und wie die Knaben und Kühe
am Ufer klagten,
konnten sie nur noch
an Krsnas
Freundschaft denken, an Sein lächelndes
Gesicht, an
Seine süßen Worte und an ihre
Erlebnisse mit Ihm.
Während sie so in Erinnerung
versanken und glaubten,
Krsna befinde Sich nun in der Gewalt Kaliyas, schien es
ihnen, als ob die drei Welten öde
und leer geworden
wären. Auch Sri Caitanya sagt in
einem Seiner Gebete,
daß Ihm in Seiner Trennung von
Krsna alle drei Welten
trostlos und leer erschienen. Das ist die höchste Stufe des
Krsna-Bewußtseins. Fast alle Einwohner
von Vrndavana
hatten die höchste Stufe der ekstatischen Liebe zu Krsna
erreicht.
Als Mutter Yasoda an der Yamuna ankam, wollte sie
sofort in den Fluß springen, und
als man sie daran
hinderte, fiel sie in Ohnmacht.
Anderen, die ebenso
verzweifelt waren, weinten so sehr, daß ihnen die Tränen
wie Regengüsse oder
Wasserfälle aus den Augen
strömten, aber um Mutter Yasoda
wieder zu Bewußtsein
zu bringen, begannen sie, mit lauter
Stimme über die
transzendentalen Spiele Krsnas
zu sprechen. Mutter
Yasoda jedoch regte sich nicht, als
sei sie tot, denn ihr
ganzes Bewußtsein
war auf das
Gesicht Krsnas
konzentriert. Nanda und die anderen
Hirten, die alles,
selbst ihr Leben, Krsna hingegeben
hatten, wollten sich
ebenfalls in das Wasser der Yamuna
begeben, doch
Balarama hinderte
sie daran,
denn Er besaß
vollkommenes Wissen, und so wußte
Er, daß keine
Gefahr drohte.
Zwei Stunden lang blieb Krsna wie ein gewöhnliches
Kind im Griff der Würgearme
Kaliyas, doch als Er sah,
daß alle Einwohner von Gokula -
Seine Mutter, Sein
Vater, die gopis, die Kuhhirtenjungen
und die Kühe -
nahe daran waren, ihr Leben
aufzugeben, und daß sie
nichts mehr vor dem unmittelbaren Tod bewahren konnte,
befreite Er sich augenblicklich. Krsna
dehnte Seinen
Körper aus, und als Kaliya
versuchte, Ihn festzuhalten,
spürte er einen starken Druck, und
dieser Druck zwang
ihn bald, die Umklammerung zu lockern.
Schließlich
blieb Kaliya keine andere Möglichkeit,
als die Höchste
Persönlichkeit Gottes,
Krsna, aus
seinem Griff
entkommen zu lassen. Dies schürte in
Kaliya rasende
Wut, und seine Hauben blähten sich
auf. Er stieß giftige
Dämpfe aus seinen Nüstern, seine
Augen loderten wie
Feuer, und Flammen züngelten
aus seinen Mäulern. So
richtete die vielköpfige Schlange ihren
Blick auf Krsna
und verharrte für kurze Zeit in
unbeweglicher Haltung.
Die Lippen mit gespaltenen Zungen leckend, beobachtete
die Schlange Krsna mit doppelt aufgeblähten Hauben und
mit giftigem Blick. Ohne zu zögern
jedoch stürzte Sich
Krsna auf Kaliya, genau wie Garuda,
wenn er auf eine
Schlange herabstößt. Der angegriffene Kaliya suchte nach
einer Gelegenheit, Krsna zu beißen, aber
Krsna wich
geschickt aus und schwamm um ihn herum. Während sich
Kaliya und Krsna auf diese Weise
im Kreis bewegten,
ermüdete die Schlange
allmählich, und es war
zu
bemerken, daß ihre Kraft beträchtlich nachließ. Krsna zog
nun plötzlich die Schlangenköpfe herunter und sprang auf
sie. Die Lotosfüße des Herrn wurden
durch die Stahlen,
die von den
Juwelen auf den
Schlangenhäuptern
ausgingen, rot
gefärbt. Dann
begann Krsna, der
ursprüngliche Meister aller schönen
Künste, zu denen
auch das Tanzen gehört, auf den Köpfen der Schlange zu
tanzen, obwohl sie sich ständig hin und her bewegten. Als
die Halbgötter auf den höheren Planeten dies sahen, ließen
sie Blumen vom
Himmel regnen,
schlugen ihre
Trommeln, spielten auf verschiedenartigen
Flöten und
sangen viele Lieder und Gebete. Auf diese Weise zeigten
die Bewohner des Himmels, wie die Gandharvas, Siddhas
und anderer Halbgötter, ihre Freude.
Während Krsna auf den Köpfen der
Kaliya-Schlange
tanzte, versuchte sie ständig, Ihn
mit einem ihrer Köpfe
herunterzustoßen. Kaliya besaß
ungefähr einhundert
Köpfe, aber Krsna behielt sie alle unter Kontrolle. Er fing
an, Kaliya mit Seinen Lotosfüßen zu treten, und das war
mehr, als die Schlange ertragen
konnte. Allmählich war
Kaliya so weit, daß er nur
noch um sein nacktes Leben
kämpfte. Er spie üblen
Geifer und stieß sengende
Feuerflammen aus. Während er giftige
Substanzen aus
seinem Innern
hervorwürgte, verringerten
sich die
Reaktionen auf seine Sündenlast. Mit
verzweifelter Wut
kämpfte er um sein Leben, während
er immer wieder
versuchte, einen seiner Köpfe zu erheben, um den Herrn
zu töten. Sofort aber sprang der
Herr auf den Kopf, der
zum Biß ausholte, trat ihn mit
Seinen Lotosfüßen und
tanzte auf ihm weiter. Im Grunde
glich die Szene mehr
und mehr einer Verehrung der
Höchsten Persönlichkeit
Gottes, Sri Visnu, und das Gift,
das den Mäulern der
Schlange entströmte, ähnelte einer Blumenopferung. Bald
jedoch begann Kaliya, statt Gift
Blut zu speien; er war
völlig erschöpft, und sein ganzer
Körper schien von den
Tritten des Herrn wie zerbrochen.
Innerlich aber begann
Kaliya allmählich zu verstehen, daß Krsna
die Höchste
Persönlichkeit Gottes ist, und so kam er zum Punkt, wo er
sich Krsna ergab. Kaliya erkannte, daß Krsna der Höchste
Herr ist, der Meister aller Meister.
Als die Frauen Kaliyas, die Nagapatnis, sahen, daß ihr
Mann durch die Tritte des Herrn,
in dessen Körper das
gesamte Universum ruht, bezwungen wurde,
kamen sie
schnell herbei,
um dem Herrn
ihre Verehrung
darzubringen, wobei ihnen in der Eile
jedoch Kleidung,
Haar und Schmuck
durcheinandergerieten. Auch sie
unterwarfen sich dem Höchsten Herrn. So erschienen sie
zusammen mit ihren Kindern vor dem Herrn, um Ihm ihre
Gebete darzubringen. Sie
warfen sich am Ufer der
Yamuna zu Boden und erwiesen auf
diese Weise Krsna
ihre achtungsvollen Ehrerbietungen.
Die Nagapatnis
wußten, daß Krsna die Zuflucht aller hingegebenen Seelen
ist, und sie wollten den Herrn mit ihren Gebeten erfreuen,
um ihren Mann vor der drohenden
Gefahr einer harten
Bestrafung zubewahren.
Die Nagapatnis begannen mit ihren
Gebeten und
sprachen: „O lieber Herr, Du bist jedem gleichgesinnt. Für
Dich gibt es keinen Unterschied zwischen Deinen Söhnen,
Freunden und Feinden. Deshalb hast Du
auch mit der
Bestrafung, die Du Kaliya gütigerweise erteilt hast, völlig
gerecht gehandelt. O Herr, Du bist
mit der besonderen
Absicht erschienen, alle störenden Elemente auf der Welt
zu vernichten, und weil Du die Absolute
Wahrheit bist,
gibt es
keinen
Unterschied
zwischen Deiner
Barmherzigkeit und Deiner Strafe. Uns
scheint es daher,
daß die Bestrafung Kaliyas im
Grunde eine Segnung ist.
Wir betrachten diese Strafe als große Gnade für uns, denn
jemand, der von Dir
bestraft wird, wird von
allen
Reaktionen
auf seine
vergangenen sündhaften
Handlungen befreit. Es ist offensichtlich, daß das Wesen,
das in diesem Schlangenkörper lebt,
früher ungeheuer
viele Sünden auf sich geladen haben
muß; denn warum
sonst mußte es den Körper einer
Schlange annehmen?
Durch das Tanzen auf
seinen Köpfen hast Du alle
Reaktionen auf seine sündhaften
Handlungen vernichtet,
die er begangen hat, weil er
den Körper einer Schlange
besitzt. Es ist deshalb ein großes
Glück, daß Du zornig
geworden bist und ihn auf diese Weise bestraft hast. Doch
wundern wir uns sehr, wie es Kaliya gelungen ist, Dich so
gütig zu stimmen; er muß Dich wohl
in seinen früheren
Leben durch viele religiöse Handlungen
erfreut haben.
Die Bußen und Entsagungen, die er
auf sich nahm,
müssen so groß gewesen sein, daß jeder ihn dafür rühmte,
und er muß wohltätige Werke zum Wohl aller Lebewesen
des Universums vollbracht haben.“
Die Nagapatnis bestätigen hier, daß
man nicht mit
Krsna in Verbindung kommen kann,
ohne in seinen
früheren Leben durch hingebungsvollen
Dienst fromme
Tätigkeiten ausgeführt zu haben. Wie Sri
Caitanya in
Seinem Siksastaka sagt,
muß man hingebungsvollen
Dienst
ausführen,
indem man
demütig den
Hare-Krsna-mantra chantet, sich niedriger
dünkt als das
Stroh in der Gasse und immer bereit ist, anderen alle Ehre
zu erweisen, ohne für sich selbst
Ehre zu erwarten. Die
Nagapatnis fragten sich, wie es möglich sein konnte, daß
Kaliya einerseits als Folge schwerer sündiger Handlungen
den Körper einer Schlange erhalten hatte und andererseits
mit dem Herrn in Verbindung kommen
konnte, ja sogar
von den Lotosfüßen des Herrn berührt wurde. Zweifellos
konnte es sich hierbei nicht um das gewöhnliche Ergebnis
frommer Werke handeln. Diese beiden widersprüchlichen
Tatsachen verwunderten sie also, und deshalb beteten sie:
„O Herr, wir sind verwundert, daß Kaliya so vom Glück
begünstigt ist, daß er den Staub
Deiner Lotosfüße auf
seinem Kopf tragen darf. Dieses
Glück ersehnen sich
große Heilige, und selbst die
Glücksgöttin nahm harte
Entsagungen auf sich,
um mit dem Staub Deiner
Lotosfüße gesegnet zu werden. Wie kommt
es also, daß
Kaliya diesen Staub so leicht
erhielt? Wir haben aus
maßgeblicher Quelle gehört, daß diejenigen, die mit dem
Staub Deiner Lotosfüße gesegnet sind,
nicht einmal die
höchste Stellung innerhalb dieses Universums, das Leben
als Brahma, erstreben und daß sie
sich auch nicht nach
dem Thron der himmlischen Planeten
oder nach der
Herrschaft über die
Erde sehnen. Solche Menschen
begehren nicht, als Könige über die Planeten oberhalb der
Erde, wie Siddhaloka, zu regieren, und
sie streben auch
nicht nach den
mystischen Kräften, die
man durch
bestimmte yoga-Übungen erhält. Auch
versuchen die
reinen Gottgeweihten nicht, durch Befreiung eins mit Dir
zu werden. O Herr, obwohl Kaliya in
einer Lebensform
geboren wurde,
die von
den abscheulichsten
Erscheinungsweisen der materiellen
Natur beherrscht
wird, begleitet von der Eigenschaft des Zornes, hat dieser
König der Schlangen etwas erreicht, was man nur äußerst
selten erlangt. Die Lebewesen, die innerhalb des materiel-
len Universums von Planet zu Planet
wandern und eine
Lebensform nach der anderen annehmen,
können allein
durch Deine Barmherzigkeit sehr leicht
die höchste aller
Segnungen erhalten.“
Im Caitanya-caritamrta wird
bestätigt, daß die
Lebewesen im
materiellen Universum
von einer
Lebensform zur anderen wandern, daß
aber durch die
Barmherzigkeit Krsnas und des
spirituellen Meisters der
Same des hingebungsvollen Dienstes in
ihnen aufgehen
kann, wodurch der Pfad zur Befreiung geebnet wird.
Die Nagapatnis fuhren fort: „Wir
bringen Dir unsere
respektvollen Ehrerbietungen dar, o Herr,
denn Du bist
die Höchste Person, die
als Überseele in
jedem
Lebewesen wohnt.
Obwohl Du zur kosmischen
Manifestation transzendental bist, ruht alles in Dir. Du bist
die personifizierte,
unüberwindliche ewige Zeit. Die
gesamte Zeitenergie existiert in Dir, und daher bist Du der
Beobachter und die Verkörperung der gesamten Zeit, die
in Form von
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft,
Monaten,
Tagen,
Stunden und
Augenblicken
wahrgenommen wird. Mit anderen Worten,
o Herr, Du
siehst in vollkommener Weise alle Ereignisse, die sich zu
jeder Sekunde, zu jeder Stunde, an
jedem Tag, in jedem
Monat, in jedem Jahr, in der
Vergangenheit, in der
Gegenwart und in der Zukunft ereignen. Du Selbst bist die
universale Form, und dennoch bist Du
verschieden von
diesem Universum. Du bist eins mit dem Universum und
gleichzeitig verschieden von
ihm. Wir bringen Dir
deshalb unsere respektvollen
Ehrerbietungen dar. Du
Selbst bist das gesamte Universum, und dennoch bist Du
der Schöpfer des Universums. Du bist der Kontrollierende
und der Erhalter des Universums,
und Du bist seine
ursprüngliche Ursache. Obwohl Du in diesem Universum
durch Deine drei qualitativen Inkarnationen,
Brahma,
Visnu und Mahesvara, gegenwärtig bist, bist Du dennoch
transzendental zur materiellen Schöpfung. Obwohl Du die
Ursache für das Erscheinen aller
Arten von Lebewesen
bist - ihrer Sinne, ihres Lebens,
ihres Geistes und ihrer
Intelligenz -, kannst Du nur durch
Deine innere Energie
erkannt werden.
Wir erweisen Dir
daher unsere
respektvollen Ehrerbietungen, der Du das
Zentrum der
gesamten Schöpfung bist. Du bist
unbegrenzt, feiner als
das Feinste, und Du bist allwissend.
Viele verschiedene
spekulierende Philosophen versuchen, Dich zu erreichen.
Du bist das
letztliche Ziel
aller philosophischen
Bemühungen, und im
Grunde bist Du es,
den alle
Philosophen in ihren verschiedenen Lehren
beschreiben.
Wir erweisen
Dir deshalb
unsere respektvollen
Ehrerbietungen, denn Du bist der Ursprung aller Schriften
und die Quelle des Wissens. Du bist die Wurzel aller Beweise, und Du bist die Höchste
Person, die uns das
höchste Wissen geben kann. Du bist
die Ursache aller
möglichen Wünsche, und Du bist die
Ursache jeglicher
Zufriedenstellung. Du bist die Personifikation der Veden.
Deshalb bringen
wir Dir
unsere respektvollen
Ehrerbietungen dar. O lieber Herr, Du
bist die Höchste
Persönlichkeit Gottes, Krsna, und Du bist
der höchste
Genießer, der nun als der Sohn Vasudevas erschienen ist,
welcher eine Manifestation des reinen
Zustandes der
Tugend ist. Du bist die Gottheit, die Geist und Intelligenz
beherrscht, Pradyumna und Aniruddha, und
Du bist der
Herr aller Vaisnavas.
Durch Deine Erweiterung als
caturvyuha - als Vasudeva, Sankarsana,
Aniruddha und
Pradyumna - bist Du die Ursache für die Entwicklung von
Geist und lntelligenz. Nur durch
Dein Wirken wird ein
Lebewesen von Vergessen bedeckt oder
entdeckt seine
wirkliche Identität. Dies wird im Fünfzehnten Kapitel der
Bhagavad-gita bestätigt: Der Herr weilt als Überseele im
Herzen eines jeden Lebewesens, und
aufgrund Seiner
Anwesenheit vergißt ein Lebewesen seine
Identität oder
belebt sein ursprüngliches Bewußtsein. Wir können bis zu
einem gewissen Maße verstehen, daß Du Dich in unserem
Herzen als der Zeuge all unserer
Handlungen aufhältst;
aber es ist sehr schwierig, Deine
Anwesenheit richtig zu
erkennen, obwohl wir uns alle
darüber bis zu einem gewissen Grade bewußt sind. Du bist
der höchste Gebieter
über die materielle und die
spirituelle Energie. Deshalb
bist Du, obwohl Du von der
kosmischen Manifestation
verschieden bist, unter allen
Umständen der höchste
Kontrollierende. Du bist der Beobachter,
der Schöpfer
und die Substanz der kosmischen Manifestation. Deshalb
bringen wir Dir unsere respektvollen Ehrerbietungen dar.
O Herr, mit der Schöpfung der materiellen Manifestation
hast Du persönlich nichts zu tun;
vielmehr kannst Du
einfach durch die
Entfaltung Deiner verschiedenen
Energien - nämlich der Erscheinungsweise
der Tugend,
der Leidenschaft und der Unwissenheit
- die kosmische
Manifestation erschaffen,
erhalten und vernichten.
Einfach durch Deinen Blick über die
materielle Energie
kannst Du, der Gebieter über die
Zeit, das Universum
erschaffen und die verschiedenen Kräfte
der materiellen
Natur ins Dasein rufen, die dann die verschiedenen Lebewesen unterschiedlich
beeinflussen. Deshalb kann
niemand begreifen, auf welche Weise Dein Wille
hier in
dieser Welt ausgeführt wird. Lieber Herr, Du hast Dich in
die drei Hauptgottheiten des Universums - Brahma, Visnu
und Siva - erweitert, um Schöpfung,
Erhaltung und
Vernichtung durchzuführen, aber Dein Erscheinen als Sri
Visnu hat den besonderen Zweck, allen
Lebewesen zum
wirklichen Wohl zu verhelfen. Deshalb
wird denjenigen,
die voller Frieden sind und nach
dem höchsten Frieden
streben, empfohlen, Deine friedenbringende
Form, Sri
Visnu, zu verehren.
O Herr, bitte erhöre unsere Gebete. Du weißt, was es
für uns bedeutet, wenn diese arme Schlange nun stirbt. Du
weißt, daß wir Frauen von unseren Ehemännern abhängig
sind. Deshalb flehen wir Dich an,
Kaliya, unserem Ehe-
mann, gütigerweise zu
verzeihen, denn wenn diese
Schlange stirbt, geraten
wir in große Not.
Nur um
unseretwillen, bitte, vergib dem
armseligen Frevler! O
Herr, jedes Lebewesen stammt von Dir ab, und jedes wird
von Dir am Leben erhalten. Ebenso ist es mit Kaliya, und
deshalb bitten wir Dich, ihm zu
vergeben, denn er hat
Dich zweifellos nur deswegen so schwer beleidigt, weil er
Deine Macht nicht kannte. Wir bitten Dich also,
ihm für
dieses eine Mal noch zuvergeben. O Herr, wir dienen Dir
mit Liebe, weil wir Deine ewigen
Dienerinnen sind. Du
kannst uns befehlen und von uns
verlangen, was immer
Dir beliebt. Wenn ein Lebewesen
bereit ist, stets Deinen
Anweisungen zu folgen,
kann es von
jeglicher
Verzweiflung freiwerden.“
Nachdem Sich Sri Krsna die Gebete
der Nagapatnis
angehört hatte, erlöste Er Kaliya von seiner Strafe. Kaliya
war durch die Tritte des Herrn bewußtlos geworden, doch
als die Strafe von ihm genommen
wurde und er sein
Bewußtsein wiedererlangte, kehrten
seine Lebenskraft
und die Fähigkeiten seiner Sinne
zurück. Mit gefalteten
Händen begann er, demütig zum
Höchsten Herrn, Sri
Krsna, zubeten: "Mein lieber Herr, ich bin in einer solch
abscheulichen Lebensform geboren worden,
daß ich von
Natur aus niederträchtig und neidisch bin, da ich mich in
diesem Körper in finsterer Unwissenheit
befinde. Du
weißt sehr gut, o Herr, daß
es sehr schwierig ist, die
natürlichen Triebe aufzugeben, obwohl das
Lebewesen
gerade durch diese Triebe gezwungen
wird, von einem
Körper zum nächsten zu
wandern." Auch in der
Bhagavad-gita wird bestätigt, daß es äußerst schwierig ist,
der Gewalt der materiellen Natur zuentkommen, daß die
materielle Natur aber keine Macht mehr über den hat, der
sich der Höchsten
Persönlichkeit Gottes, Sri Krsna,
ergeben hat. Kaliya fuhr fort:
„Lieber Herr, Du bist der
Ursprung der Erscheinungsweisen der
materiellen Natur,
durch die dieses Universum erschaffen wird, und Dubist
die Ursache für die verschiedenen
Bewußtseinszustände
der Lebewesen, durch die sie ihre
verschiedenen Körper
erlangt haben. O Herr, ich bin
als Schlange geboren
worden, und deshalb bin ich von Natur aus bösartig. Wie
sollte es mir also ohne Deine
Barmherzigkeit möglich
sein, diese Eigenschaften
aufzugeben? Es ist sehr
schwierig, der Gewalt mayas zu entkommen;
denn da
maya Deine Energie ist, kann sie
uns für Ewigkeiten
gefesselt halten. Deshalb,
lieber Herr, vergib mir
gütigerweise
meine
unvermeidbaren materiellen
Neigungen. Nun kannst Du mich ganz
nach Deinem
Belieben bestrafen oder erlösen.“
Nachdem der Herr, die Höchste Persönlichkeit Gottes,
der die Rolle eines kleinen Menschenkindes spielte, dieses
Gebet gehört hatte, gab Er der Schlange folgenden Befehl:
„Verlaß augenblicklich diesen Ort und begib dich in den
Ozean. Alle deine
Kinder, deine Frauen
und deine
Besitztümer kannst du mit dir nehmen,
aber mach dich
jetzt ohne Verzögerung auf den Weg. Vergifte in Zukunft
nie mehr das Wasser der Yamuna, denn Meine Kühe und
Kuhhirtenjungen sollen
es ohne Bedenken
trinken
können.“ Der Herr sagte darauf, daß
der Befehl, den Er
der Kaliya-Schlange erteilt habe, an
alle weitergesagt
werden solle, so daß sich niemand
mehr vor Kaliya zu
fürchten brauche.
Jeder, der diese Erzählung von der
Schlange Kaliya
und ihrer Bestrafung vernimmt, wird nicht mehr den Neid
der Schlangen zu fürchten brauchen. Der Herr erklärte des
weiteren: "Wer im Kaliya-See badet,
wo einst Meine
Kuhhirtenfreunde und Ich
gebadet haben, oder wer,
nachdem er für einen Tag gefastet hat, den Vorvätern mit
diesem Wasser ein Opfer
darbringt, wird von allen
sündhaften Reaktionen befreit."
Der Herr versicherte
Kaliya außerdem: "Du kamst hierher, weil
du dich vor
Garuda fürchtetest, der zu deinem
paradiesischen Eiland
im Ozean gekommen war, um dich zu
fressen. Wenn
Garuda aber die Markierung sieht,
die Ich mit Meinen
Lotosfüßen auf deinem Kopf hinterlassen
habe, wird er
dich in Ruhe lassen."
Der Herr war mit Kaliya und
seinen Frauen sehr
zufrieden. Gleich nachdem die Frauen
Seinen Befehl
vernommen hatten, begannen sie, Ihn
mit reichen Opfergaben, wie schönen Gewändern, Blumen,
Girlanden,
Juwelen, Geschmeide,
Sandelholzpasten, Lotosblumen
und wohlschmeckenden Früchten, zu verehren. Auf diese
Weise erfreuten sie den Herrn Garudas, vor dem sie sich
so sehr gefürchtet hatten. Dann verließen sie, dem Befehl
Sri Krsnas folgend, die Yamuna.
Hiermit
enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum 16. Kapitel des Krsna-Buches:
"Krsna bezwingt die Schlange Kaliya".